„Reden über Angelegenheiten, die durch Reden nicht entschieden werden können, muß man sich abgewöhnen.“ (Bertolt Brecht)
Im November 2019 war ich auf der MBSR/MBCT Jahreskonferenz in München und dabei hatte ich das Vergnügen gehabt mit vielen Menschen die Achtsamkeit unterrichten in Kontakt zu kommen. Auf der Konferenz gab es zahlreiche und gewinnbringende Erkenntnisse, die unter anderem durch den bekannten Neurowissenschaftler und Forscher der Meditation, Dr. Ulrich Ott, präsentiert wurden.
Nun, was kann ich berichten. Es wurden die aktuellsten Studien über die Auswirkung der Meditation auf Körper und Geist vorgestellt. Unter anderem die Erkenntnis, dass das Gehirn von Meditierenden langsamer altert (etwa 7,5 Jahre jünger im Vergleich zu Kontrollgruppen bei gleichem Lebensalter) und gegen Demenz und einigen anderen Krankheiten prophylaktisch bzw. heilend wirkt. Muss zugeben, dass ich manchmal selbst überrascht bin, was das Nichts-Tun so alles bewirken kann.
Ein interessanter und wichtiger Punkt war weiterhin, dass die verschiedenen Meditationsformen in Gehirn unterschiedliche Zentren ansprechen und entwickeln. Vor vielen Jahren vermutete ich schon, dass es einen Unterschied in der Übung und Auswirkung geben muss und das Meditation nicht gleich Meditation ist. Mittlerweile ist wissenschaftlich bestätigt (und das kann man ganz deutlich durch die Hirnscanner sehen), dass beispielsweise die fokussierte Atemmeditation andere Hirnareale entwickelt als die Freundlichkeitsmeditation. Man kann also ganz konkret Präsenz und Konzentration mit einer Form, und Freundlichkeit und Selbstmitgefühl, also emotionale Kompetenzen, mit einer anderen Form der Meditation trainieren.
Was bedeutet das für uns?
Diese Erkenntnisse geben uns zu verstehen, dass wir eine Wahl haben und über die Praxis der Achtsamkeit unsere Gehirnstrukturen und somit unser Denken und Verhalten zum Positiven verändern können. Unabhängig von Medikamenten und anderen abhängig machenden Dingen (zum Teil auch Menschen).
Wie gut und interessant diese Erkenntnisse der modernen Wissenschaften heute auch sein mögen, reicht dies nicht aus. Man muss letztendlich was tun. Reden allein reicht nicht. Und das, was wir tun, ist wirklich nicht kompliziert, aber – und das gebe ich zu – nicht immer leicht.
Zu stark sind die äußeren Ablenkungen und unser im Tun-Modus konditionierter Verstand. Der Seins-Modus ist unsere wahre Natur. Es geht um einen Zustand der schon immer da war. Es ist ein Sein, ein Ganz-da-Sein in der Welt, mit all dem, was zu mir gehört.
Ziemlich komisch, dass dieses Da-Sein, in dem wir nichts tun und erreichen müssen, uns doch so viel Mühe kostet. Kostet es denn nicht viel mehr Energie ständig etwas planen, erreichen und nach außen scheinen zu müssen?
Ein Thema, welches immer wieder in den Kursen auftaucht, ist, wie integriere ich meine Achtsamkeitspraxis in den Alltag. Sicherlich braucht es Disziplin. Mit diesem Wort verbinden wir oft was Strenges und Negatives. Das muss aber nicht sein. Denn Disziplin bedeutet einfach, freundlich für sich die Prioritäten zu setzten. So sollte sich jeder die Frage stellen, was ihm im Leben wirklich wichtig ist.
Sätze wie „ich habe keine Zeit“, sind sich selbst gegenüber nicht immer ehrlich. 20 Min. kann sich meist jeder am Tag einplanen. Und diejenigen, die jetzt behaupten, dass sie dennoch keine Zeit haben, sollten sich am besten 40 Min. einplanen. Viele müssten mal ihre Zeit ausrechnen, die sie mit ihrem Smartphone, dem Fernseher oder energieraubenden Klatsch und Tratsch verbringen. Laut einer Studie sollen die Deutschen im Internet durchschnittlich 4,4 Stunden surfen. Was sind dann 5 bis 20 Minuten meditieren am Tag. Wirklich nicht viel. Eine kurze Zeit der inneren Besinnung kann jeder aufbringen. So kann man an der Ampel bei Rot einfach innehalten und seinem Atem folgen. Viele Aufgaben können mit einer achtsamen Haltung ausgeführt werden.
Will man eine Sprache lernen, ein Musikinstrument spielen oder die Muskulatur aufbauen, braucht es regelmäßige Übung. Wenn wir ein geübtes Paar anmutig tanzen sehen, sieht es schön aus, wie sie sich im Fluss bewegen. Am Anfang war das sicherlich nicht so. Das Einstudieren einzelner Schritte kostete sie viel Arbeit und Mühe und ihre Bewegungen sahen oft komisch und holprig aus. Dann aber, eines Tages, wandelte sich dies zu einem Tanz, in dem sie aufgingen und sie eins mit dem Tanz wurden. Sie tanzten des Tanzen willens. Anfang und Ende waren entschwunden und es gab nur diesen einen Augenblick.
Mit der Achtsamkeit ist es nicht anders. Präsenz, innere Ruhe und Selbsterkenntnis erfordert eine kontinuierliche Praxis. Das bleibt uns nicht erspart. Sprechen lernen wir durch Sprechen, Schwimmen durch Schwimmen und Meditieren durch Meditieren. Der Weg lohnt sich, da bin ich mir sicher. Denn Achtsamkeit ist die Basis für all unser Denken und Handeln. Ohne sie laufen wir blind durch das Leben. Wenn wir achtsam sind, und das bedeutet bewusst zu sein, öffnen wir unsere Augen für das wahre Leben.