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Wann der Kopf und wann der Bauch entscheiden sollte

Das Konzept des „homo oeconomicus“, das rein rationale Entscheidungen annimmt, stößt an seine Grenzen. Selbst erfolgreiche Finanzspekulanten wie George Soros vertrauen auf ihre Intuition, was darauf hindeutet, dass Gefühle und unbewusste Signale eine größere Rolle spielen, als bisher angenommen.

Es gibt keine rein rational-kognitiven Entscheidungen. Unser Denken und Handeln ist viel- mehr auch ein Resultat unbewusster und emotionaler Gehirnprozesse. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht unser Handeln sogar zu über 80 Prozent aus unbewussten Entscheidungen. Im Gegensatz zum bewussten Denken, das in der Verarbeitung von Informationen begrenzt ist, kann das Unbewusste eine nahezu unbegrenzte Anzahl von Informationen verarbeiten. Intuitive Entscheidungen schöpfen aus dieser Kapazität. Gerade in Beratungsgesprächen kann die Intuition zu besseren Ergebnissen führen als Zahlen und Fakten allein. Der Berater nimmt intuitiv Signale des Kunden wahr und umgekehrt. Diese Signale und ihre Wahrnehmung tragen mehr zu einer erfolgreichen Kommunikation bei als der Gesprächsinhalt, wie die Kommunikationspsychologie zeigt.

Komplexe Entscheidungen

Vorherrschend ist heute aber immer noch die Ansicht, dass nur durch die Ratio, das heißt durch den geschulten Verstand, richtige Entscheidungen getroffen werden können. Alles, was mit Intuition und Gefühl zu tun hat, gilt seit Descartes und Kant als minderwertig. Doch die Welt ist zu komplex, als dass man sie allein mit der Ratio verstehen und erklären könnte. Modelle wie „homo oeconomicus“ haben sich auch angesichts der globalen Finanzkrise als unzureichend erwiesen. Viele bedeutende Entscheidungen werden intuitiv getroffen. Dies beschreibt Gerald Traufetter, Wissenschaftsredakteur beim „Spiegel“, in seinem Buch „Intuition – Die Weisheit der Gefühle“. So soll selbst der Finanzinvestor George Soros bei seinen Finanzspekulationen dem Gefühl folgen. Spürt er Rückenschmerzen, nimmt er dies als Signal dafür wahr, dass er seine Anlagen umschichten sollte.

Mit Achtsamkeit zur Intuition

Um das, was in einem selbst und in einem anderen vorgeht, wahrnehmen zu können, braucht es Achtsamkeit. Der Begriff „Achtsamkeit“ erlebt derzeit eine Modewelle, die kaum ein Medium auslässt. Die Wurzeln der Achtsamkeitspraxis liegen aber weit zurück in der 2.500 Jahre alten buddhistischen Tradition. Man verstand schon damals, dass mit Hilfe geeigneten Trainings der Geist erforscht und weiterentwickelt werden kann. Neben Gelassenheit, Ruhe und geistiger Klarheit wurde damit der Zugang zur Intuition geschult.

Forschungsergebnisse

Seit einigen Jahren wird die Achtsamkeitspraxis von Neurowissenschaften, Psychologie und Medizin erforscht. Dabei liefern die Untersuchungen erstaunliche Ergebnisse. So können Meditationstechniken für eine mess- bare Veränderung in der Struktur des Gehirns und für eine positive Wirkung auf das Denken und Verhalten sorgen. Dazu gehören eine bessere Selbstwahrnehmung, die Gesundheitsprophylaxe und ein verbessertes Allgemeinbefinden. Der Mediziner und Achtsamkeitslehrer Jon Kabat-Zinn vergleicht Achtsamkeit mit einer Lupe, die „die diffusen und impulsgesteuerten Aktivitäten und Reaktionen des Geistes zusammenführt und sie zu einer einzigen Energiequelle bündelt, die uns so für unser Leben, zur Lösung unserer Probleme und zur Selbstheilung zur Verfügung steht“.

Intuition spürbar machen

Im vergangenen Jahr habe ich selbst eine Studie über den Zusammenhang zwischen Achtsamkeitspraxis und Intuition durchgeführt und dafür Menschen interviewt, die ihre Achtsamkeit u.a. durch Zen und Kontemplation schulen. Darunter waren ein Topmanager der Europäischen Zentralbank, ein Professor der Universität München und weitere Experten. Die Untersuchungsergebnisse deuten darauf hin, dass bei langjähriger Achtsamkeitspraxis durch verbesserte Wahrnehmung der Evidenzgrad der Intuition steigen kann. Anders ausgedrückt: Achtsame Menschen liegen mit ihren intuitiven Entscheidungen oft richtig. Allerdings weisen die meisten Befragten darauf hin, dass sie ihrer Intuition nicht blind folgen, sondern sie kritisch hinterfragen. Das Vertrauen in die eigene Intuition steht aber der menschlichen Gewohnheit entgegen, Probleme durch absichtsvolles Denken und Handeln lösen zu wollen. In der Intuition dagegen kommt das paradoxe „Nicht-Handeln, um zu handeln“ zum Ausdruck.
Im Zen heißt es dazu: „Es gibt nichts zu erreichen und nichts zu tun.“ Entsprechend geht es bei einer Intuitionsschulung nicht um ein „Mehr“ – sondern eher um ein Loslassen und Weglassen überflüssiger Gedanken. Um Intuition zu entwickeln, ist neben der Achtsamkeits- bzw. Meditationspraxis eine offene Geisteshaltung wichtig. Das Vertrauen in die eigene Intuition und der Mut, ihr zu folgen, entwickeln sich mit der Zeit.

Unterscheiden ist wichtig

Die Intuition hat auch Grenzen. Bei komplexen Entscheidungen ist die Intuition oft von Vorteil, dort, wo es um Genauigkeit und Präzision geht, ist das bewusste Denken hilfreicher. Ob eine Entscheidung richtig ist, stellt sich oft erst im Nachhinein heraus. Da Intuition primär bei komplexen Entscheidungsprozessen eine Rolle spielt, ist nicht leicht zu beurteilen, ob eine andere bzw. rationale Wahl einen besseren Dienst geleistet hätte. Das „Richtige“ ist in vielen Fällen subjektiv und hängt vom Kontext bzw. von der eigenen Sichtweise ab. Achtsamkeitstraining schafft Abstand zu rationalen Denkprozessen und kann den Zugang zum Unbewussten ebnen. Es soll aber Rationalität nicht verdrängen. Intuition und Rationalität sind beide wichtig, um die Herausforderungen des Lebens besser zu bewältigen.