Ich lade Dich zu einem Experiment ein!
Versuche mal für etwa eine halbe Minute an nichts zu denken.
Also, ab jetzt! …
Und, konntest Du für diese kurze Zeit mal an nichts denken?
Wenn ja, dann ist das schon ziemlich gut, sogar sehr gut. Denn den meisten Menschen fällt es ziemlich schwer, sich von zahlreichen Gedanken freizumachen. Frei vom Denken zu sein, weist somit auf eine Qualität der Freiheit hin. Denn, bin ich in der Lage für eine bestimmte Zeit mich nicht mit den Gedanken zu identifizieren und von ihnen gefangen zu nehmen, dann bin ich wirklich frei. Frei von Gedanken, die in der Zukunft liegen, der To-do-Liste und Dingen, mit denen ich mich gewollt oder ungewollt beschäftigen muss oder will. Und frei von Gedanken, die sich in der Vergangenheit befinden. Beiden, den Gedanken, die sich in der Zukunft und den Gedanken, die sich in der Vergangenheit aufhalten, ist eines gemeinsam: Sie sind Fantasien unseres Geistes und nicht real. Beides befindet sich nicht in der Gegenwart.
Ich kenne einige Personen, die dann sagen: „Ja, aber …, ich muss doch meine Pläne machen und mich mit den Dingen beschäftigen. Ich habe Kinder, ein Haus und Pflichten. Ich kann doch nicht einfach gedankenlos da sein.“ Ja, unser Bewusstsein und Verstand ist eine besondere Errungenschaft der Evolution und da sind wir als Menschen einzigartig. Kein anderes Lebewesen kann mit seinem Bewusstsein in der Art wie wir in der Zukunft und Vergangenheit sein. Es gibt zwar einige andere Lebewesen wie z. B. die Schimpansen, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen sogar ein besseres Kurzzeitgedächtnis haben sollen als wir, aber keines kann den Verstand so wie der Mensch nutzen. Das Ganze hat aber seinen Preis. Denn unser Gehirn macht keinen Unterschied zwischen Realität und Fantasie. Denke mal an das Essen einer sauren Zitrone. Das wird bei Dir bestimmte körperliche Reaktionen hervorrufen. Jeder kennt auch bestimmte Träume, in denen er Dinge erlebt, als seien sie real. Spätestens nach dem Aufwachen merken wir, dass das nur ein Traum war, eine Fantasie, ein Gedankenprozess unseres Unbewussten. Im Laufe des Tages haben wir extrem viele, vor allem unbewusste Gedanken, die durch unseren Kopf umherschwirren. Ein Großteil davon ist nicht immer förderlich für uns. Da sind z. B. Glaubenssätze, die wir seit der Kindheit mitschleppen und uns oft das Leben schwermachen. Gedanken wie „das kann ich nicht“, „Ich bin nicht gut genug“ und so einiges mehr. Oft malen wir uns Katastrophen aus, die niemals eintreffen werden, und produzieren in unserem Geist aus so manchen Mitmenschen einen Säbelzahntiger und Mammut aus der Urzeit. Früher war das real und dann galt die Devise: Kampf oder Flucht. Im Extremfall gab es die dritte Option, das Todstellen. Heute müssen wir zum Glück nicht mehr gegen gefährliche Tiere kämpfen oder vor ihnen fliehen. Unser Verstand konstruierte aber neue gefährliche Wesen und Situationen. Den Chef, die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, die Angst vor Arbeitslosigkeit und so manche gedachte und oft nie eintreffende Dinge. Die damaligen Reaktionen wie Flucht oder Kampf bauten die Stresshormone ab. Heute ist das Problem, dass die meisten ihre Horrorszenarien haben und durch die fehlende psychophysiologische Aktivität kaum ihren Stress abbauen können. Das macht auf lange Sicht krank.
Was hat Achtsamkeitsmeditation mit alldem zu tun?
Viel, und sie kann uns hier besonders helfen, all das, was so über den Tag in unseren Köpfen ist, bewusster werden zu lassen. Den Raum erweitern und darin bessere Alternativen zu finden. Laut einigen Studien sollen über 90 % der Gedanken, die wir so täglich haben, nutzlos oder sogar schädlich sein. Wenn Du darüber etwas genauer nachdenkst, ist schon was dran. Denn ich kann zwar einen Gedanken über eine in der Zukunft liegende Tätigkeit haben, z. B. einen Einkauf oder eine bald anstehende Rede, die ich halten werde, aber meist bleibt es nicht dabei. Immer wieder kommen dieselben Gedanken über das, was wir eigentlich schon bewusst geplant bzw. durchgearbeitet haben. Diese wiederholenden Gedanken rauben uns somit täglich viel Energie.
Das Denken, was sich mit der Zukunft oder der Vergangenheit beschäftigt, ist nicht das eigentliche Problem. Es ist die Abhängigkeit und die Identifikation mit ihnen. Es geht um eine bewusste und willentliche Handlung. So kann ich bewusst in der Vergangenheit bei meinem letzten Urlaub sein und die Momente noch einmal bewusst genießen. Ich kann mein berufliches Projekt für die Zukunft planen und auch mehrmals geistig durchgehen. Aber dann sollte ich auch wieder in das Hier und Jetzt zurückkommen können und mich nicht in das Davor oder Danach hineinziehen lassen. Wenn ich will, habe ich auch die Möglichkeit, bewusst in eine Situation einzutauchen. Werde quasi eins mit ihr. Wenn ich mir einen Film anschaue, tue ich das auch. Ich werde eins mit dem, was im Fernseher läuft, mit dem Schauspieler und der Situation. Ich tauche in die Geschichte ein. Ich habe dabei aber immer wieder die Möglichkeit, mich aus dem zurückzuziehen. Hier habe ich die Macht über das, was läuft. Und wenn es mir gar nicht gefällt, habe ich die Fernbedienung in der Hand und kann auf den Knopf drücken und um- oder ausschalten. Das Ganze ähnelt dem, was in unseren Köpfen abläuft. Ständiges Kopfkino, ein Haufen innerer Stimmen und Bilder. Leider schaffen es nicht viele, ihr Programm zu ändern bzw. auf den Ausschaltknopf zu drücken. Meistens ist ihnen gar nicht einmal bewusst, dass sie durch die Gedanken fremdgesteuert sind.
Es geht darum, die Führung über die Gedanken zu erlangen. Denn nicht die Gedanken und die Gefühle sollten uns steuern – und das ist meistens der Fall, sondern wir sollten sie steuern. Der Verstand ist da, um uns zu dienen und nicht umgekehrt. Wie der bekannte Hirnforscher, Manfred Spitzer, mal in einem Interview über Mediation gesagt hatte: Die Top-Down-Kontrolle zu erlangen. Unter Top werden die zu dem Bewusstsein gehörenden Hirnregionen verstanden, die die Kontrolle über das emotionale Hirn und eher unbewussten Anteile haben.
Was ist zu tun?
Versuche mal Deine Aufmerksamkeit öfters über den Tag auf eine oder mehrere Körperregionen zu richten oder das Bewusstsein einfach auf den Atem zu lenken. Schon 5 Minuten können da sehr hilfreich sein. Einfach mal den Körper so wie er momentan ist wahrzunehmen. Alles darf sein, so wie es ist. Nimm den Atem wahr, wie er kommt und geht. Lasse ihn einfach fließen und beobachte ihn. Hier bringst Du Dein Bewusstsein weg vom Denken und kommst in das Spüren. Die Wahrnehmung des Körpers hilft uns in die Gegenwart zu kommen. Unser Geist kann in die Vergangenheit und in die Zukunft reisen, der Körper aber ist immer im Jetzt. Deswegen kann er ein guter Verbündeter für den Augenblick sein.