Eine halbe Stunde Meditation ist absolut notwendig, außer, wenn man sehr beschäftigt ist, dann braucht man eine ganze Stunde. (Franz von Sales)
Wenn ich heute Seminare leite und wir als Gruppe mehrere Tage in der Stille meditieren und uns jemand, der damit nichts zu tun hat, fragt, was wir denn da so machen, müssten wir darauf einfach die Antwort geben: Nichts, wir sitzen und schweigen. Wenn wir dann noch erklären würden, dass wir dafür extra Urlaub nehmen und Geld zahlen, könnte er uns möglicherweise für etwas bekloppt halten.
Philipp Brandstäter, GEO Reporter und Teilnehmer an der Meditationsstudie im ReSource-Projekt, berichtet, wie er in einem Retreat, also einem mehrtägigen Meditationskurs, während eine Gehmeditation im Freien eine besondere Bemerkung zu hören bekam. Er schreibt: „Eine Familie spaziert an uns vorbei. Was machen die Leute da auf dem Rasen? Fragt das Kind. Guck da nicht so hin, die sind behindert, antwortet die Mutter.“ Normal scheint mittlerweile das zu sein, was die meisten haben: Stress im Job, zu viele Termine und Verpflichtungen in der Freizeit sowie das ständige Starren auf das Handy. Nichts tun, bewusst, still und einfach nur da zu sein, ist halt nicht normal.
Am Anfang der Achtsamkeitspraxis können Widerstände, unliebsame Gedanken und Gefühle auftauchen. Das ist normal und sollte einen nicht allzu beunruhigen. Ein Achtsamkeits- bzw. Meditationslehrer ist da, um hier Abhilfe zu schaffen und unterstützende Hinweise zu geben. Ist die Bühne frei, tanzt der Teufel, sagte mal mein Lehrer Willigis Jäger. Manche kommen in der Meditation zum erste Mal so richtig in Kontakt mit ihren verdrängten Persönlichkeitsanteilen und Gefühlen. Ich kann mich noch gut an eine Kursteilnehmerin erinnern, die sagte: „Meditation ist nichts für mich. Da kommen mir so viele Gedanken.“ Sie machte mir einen angespannten und etwas zerstreuten Eindruck. Später dachte ich mir, dass ihr die Übung doch die besondere Gelegenheit gab, um mit ihren umherschwirrenden Gedanken und mit sich selbst in Beziehung zu kommen. Nicht die Meditation und Achtsamkeit produziert unerwünschte Gedanken und Gefühle. Ebenso entstehen keine Depressionen oder Ängste dadurch. Die Achtsamkeitspraxis macht uns nur bewusster, was sowieso schon da ist. Das ist wiederum die besondere Chance, auch etwas zu verändern.
Du musst all die Übungen nicht mögen und trotzdem werden sie mit Dir was machen. Wenn Du in der Stille verweilst und Deinen Geist öffnest, kannst Du auf dem Feld der Achtsamkeit viel Neues entdecken. Manches davon wirst Du mögen, manches womöglich hassen. Die Einladung ist alles in einer offenen und beurteilungsfreien Haltung wahr- und anzunehmen. Die Achtsamkeitspraxis ist ein wunderbares Mittel um sich selbst und die Welt besser kennenzulernen. Ich denke, nein, ich bin überzeugt, dass alle Techniken und Methoden, die uns heute zur Entwicklung unserer Persönlichkeit zur Verfügung stehen, ob es sich um Kommunikationsmodelle, Psychotherapien oder Coachingwerkzeuge handelt, nicht ausreichen werden, wenn nicht das Fundament der Achtsamkeit vorhanden ist. Sie werden nicht zum wesentlichen Kern eindringen. Alles wird einem sanierten Haus ohne Fundament ähneln. Die Fassade wird glänzen, aber das Innere wird alt und brüchig bleiben.
Achtsamkeit ist für mich wie das Betriebssystem eines Computers und die Programme, die Apps sind die Werkzeuge auf dem sie arbeiten. Das beste Programm kann ohne das Betriebssystem nicht laufen. Das Betriebssystem ist das erste was man auf die Hardware installiert und welches im Hintergrund arbeitet. Und wenn wir diese Metapher auf uns Menschen übertragen, dann gibt es neben dem Körper, also der Hardware, die Seele oder das Selbst, welches das Betriebssystem darstellt und die Programme sind unsere Prägungen und Konditionierungen und all die Kompetenzen die wir im Laufe des Lebens uns angeeignet haben. Viele angepriesene Methoden im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung vermitteln uns Wissen, um erfolgreicher zu sein. Sie geben uns Techniken an die Hand, damit wir positiv denken und an unsere Ziele glauben sollen. Leider kratzen sie oft nur an der Oberfläche unserer Persönlichkeit und verändern unsere tiefgründigen Charaktereigenschaften kaum.
Achtsamkeit ist kein Zaubermittel. Einiges was Du lange mitschleppst und loswerden möchtest, wird nicht unbedingt verschwinden. Die Übung, oder besser gesagt Du, brauchst Zeit und Geduld. Manches mit dem Du auf Kriegsfuß stehst, wird vielleicht auch bleiben. Die gute Nachricht ist: Du wirst lernen damit umzugehen und Dich mit Einigem was Dir nicht gefällt aussöhnen. Dieses Aussöhnen ist letztendlich die Akzeptanz, die Dich erfahren lässt, dass es weniger darum geht von etwas, als mit etwas frei zu sein.
Über Meditation und wissenschaftliche Erkenntnisse kannst Du im folgenden Artikel mehr erfahren: