Wenn wir im Fluss des Lebens sind, dann geht einiges leichter. So hieß einer meiner Seminare auch: Die Leichtigkeit des Seins erfahren. In diesem Sein bin ich ganz. Da denke ich nicht mehr an den Zweck der Handlung, an das Davor und Danach. Da bin ich einfach. Es gilt vom Tun ins Sein zu kommen. Eine Qualität die den meisten abhandengekommen ist. Etwas was in unserer Gesellschaft nicht besonders kultiviert ist und von vielen auch nicht gewollt ist. Ständige Erreichbarkeit im Job und in der Freizeit, verkaufsoffene Sonntage und der steigende Leistungsdruck, der schon in der Schule anfängt, passen einfach nicht dazu.
Einem Menschen, der nur da sitzt und nichts macht, wird weniger Anerkennung geschenkt als einem, der sich für die Arbeit opfert, der ausbrennt. In früheren Zeiten war das Nichtstun ein Privileg der Reichen und der Adligen. Die Unterschicht musste ackern. In so manchen Ländern des Südens sieht man noch Menschen, die dem Sonnenuntergang zuschauen, die im Café sitzen und Tee trinken oder einfach auch nichts tun. Der westlich geprägte Mensch wird sich dabei vielleicht denken, naja, deswegen haben die auch nicht viel. Kaum Industrie und eine schwache Wirtschaft. Geld ist bekanntlich aber nicht alles. Ich möchte die zwei Seiten auch nicht gegeneinander ausspielen und behaupten, dass das eine besser als das andere ist. Man sollte sich aber der einzelnen Qualitäten bewusster werden. Für uns in der Leistungsgesellschaft Lebenden ist die Einladung, sich etwas mehr den Seins-Modus zuzuwenden.
Einige Teilnehmer kennen das Problem, wenn in der Übung der Achtsamkeit, Ungeduld und Unruhe und damit verbunden auch Wut aufsteigt. Beim Bodyscan eine halbe Stunde die einzelnen Körperteile wahrzunehmen – mega langweilig für den ständig aktiven Geist. Die inneren Antreiber in uns toben und schreien. Sie sind dominierend und lassen und denken, dass die Übung der letzte Blödsinn ist. So steigen wir lieber aufs Fahrrad oder rennen hetzend durch den Park, um uns dann das Gefühl zu geben, dass dies für uns vielleicht doch besser als Achtsamkeit ist. Bewegung gehört neben Entspannung und Ernährung zu den drei Eckpfeilern der Gesundheit. Alle drei sind wichtig. Achtsamkeit sollte aber nicht mit Entspannung verwechselt werden. Achtsamkeit ist viel mehr. Achtsamkeit ist für mich eine Art Bewusstseinsschulung, die das Fundament für eine achtsame, bewusste Lebensführung bildet. Und dies gilt für alles Bereiche des Lebens. Egal ob es sich um Sport, die zwischenmenschliche Kommunikation, das Essen, das Spielen, die Liebe oder den Beruf handelt.
Der aktive Geist, oder wie man ihn im Osten nennt, Affengeist, ist es einfach nicht gewohnt mal nichts zu tun. Einfach mal nur zu sein. Das Aktive füttert sich durch die Aktivität. Das Ruhende durch die Ruhe.
Der Philosoph, Günter Figal, spricht von der Muße, die er folgendermaßen beschreibt: Erfülltes Tun in Freiheit und Gelassenheit.
Im gegenwärtigen Moment, im Sein, können sich Kreativität und neue Ideen entfalten. Intuitionen und Glück sind hier zu Hause.
Auch in der Meditation bzw. im Achtsamkeitstraining kann ein Leistungsdenken vorhanden sein. Es gilt wie so meist, den goldenen Mittelweg zu finden.
In meinen angeleiteten Meditationen erwähne ich oft den Satz: Es gibt nicht zu erreichen und nichts zu tun. Es gilt einfach nur da zu sein. So manche Teilnehmer berichten, dass ihnen dieser Satz sehr gut tut. Er gibt ihnen die Erlaubnis mal einfach nur zu sein. Keine To-do Liste, kein Chef, der was will und kein Familienmitglied, das sich was wünscht. Und auch kein schlechtes Gewissen in uns, dass uns sagt, wir sitzen nur nutzlos da.
Können wir uns auch mal erlauben etwas zu machen, das einfach zweckfrei ist? Nicht gebunden an ein Ergebnis und an ein Ziel? So ist die Einladung, mal unter der Woche etwas Zweckfreies zu tun. Augenblicke bei der Arbeit und in der Freizeit bewusst wahrnehmen. Sich mal in der Pause hinsetzen, das Handy oder die Zeitung weglassen und nichts tun. Einen Spaziergang zu nehmen und die Schritte beim Gehen wahrnehmen.
Der Seinszustand muss sich nicht nur in der Inaktivität bemerkbar machen. Bekannt ist das sogenannte Flowerlebnis. In diesem Zustand bin ich wie der Tänzer, der des Tanzes willen tanzt. Hier sind die Zweckorientierung und das Denken an die Vergangenheit und die Zukunft nicht vorhanden. Widerstände und Zwänge aufgelöst. Zumindest für diesen Augenblick.
Nicht mit allem müssen wir im Einklang sein und nicht immer können wir im Sein, sein. Probleme, Widerstände, unangenehm Menschen kenne ich auch. Ich sollte ihnen aber nicht die Macht über mein Denken und Fühlen überlassen. Wir haben in unserem Leben oft mehr Möglichkeiten und Einfluss als wir denken. Das zu erkennen, gehört auch zur Achtsamkeit.
Hier die Einladung, dass jeder Einzelne sich mal fragt, was ist mir im Leben wirklich wichtig ist? Was tut meinem Geist, meiner Seele und meinem Körper gut? All die Übungen, die wir in der Praxis der Achtsamkeit kennenlernen, zielen darauf ab, auf den unterschiedlichen Ebenen bewusster zu werden. Dabei geht es immer um den Alltag. Nicht um eine Ideologie, ein Verharren im Erleuchtungszustand, einem wellnessartigen Sitzen auf dem Meditationskissen. Wie mein Lehrer, Willigis Jäger, es mal formulierte: Jeder spirituelle Weg, der nicht in den Alltag führt, ist ein Irrweg“. Die Praxis möchte nicht nur die Symptome, sondern tiefere Ursachen und Zusammenhänge erkennen lassen. Die Übung ist recht einfach, dennoch nicht leicht. Der erste Schritt ist das Erkennen, der zweite ist das Zulassen, der dritte das Einlassen und der letzte das Loslassen. Dieses Loslassen ist dann kein aktiver Prozess. Das ist eher, durch die Schritte davor, ein transformierender passiver Prozess. Es ist das Annehmen, dessen, was ist.