Der Mensch lasse die Bilder der Dinge
Ganz und gar fahren
und mache und halte seinen Tempel leer.
Denn wäre der Tempel entleert,
und wären die Fantasien,
die den Tempel besetzt halten draußen,
so könntest du ein Gotteshaus werden,
und nicht eher, was du auch tust.
Und so hättest du den Frieden deines Herzens und Freude,
und dich störte nichts mehr von dem,
was dich jetzt ständig stört,
dich bedrückt und dich leiden lässt.
– Johannes Tauler, um 1300 – 1361
Krieg, Corona, Umweltkatastrophen, Wirtschaftskrise …
Was macht all das mit Dir?
Unsere Aufmerksamkeit bestimmt, was wir denken und wie wir fühlen.
Ich kann den Fernseher einschalten und mir über den Tag immer wieder die schlimmen Nachrichten anschauen und mich mit Menschen umgeben, die ständig über das Thema sprechen (Geist steckt an!).
Das Ganze wird einen Einfluss auf mein emotionales und körperliches Befinden haben, ebenso wie es einen Einfluss hat, wenn ich die Sonne auf meiner Haut spüre und das Vogelgezwitscher höre oder in einem Café mit einem lieben Menschen sitze.
Wir alle haben verschiedene Anteile in uns, unter anderem ängstliche, aggressive, bedürftige, mutige, lustige u.v.m.
Jeder dieser Anteile füttert sich durch die Gedanken, die wir haben. So füttern Angstgedanken die Angst und die Mutgedanken den Mut. D. h. wir assoziieren uns mit den eigenen Gedanken und fühlen uns am Ende so wie diese sind.
Die Frage, die Du Dir jetzt und im Alltag immer wieder stellen kannst, ist:
- Welche Gedanken habe ich in diesem Augenblick?
- Sind sie hilfreich?
- Und wenn nicht, welche Alternative zu diesen Gedanken wären dienlicher?
- Oder ganz einfach: Wer wäre ich ohne diese Gedanken?
Und bei der letzten Frage klingen schon Taulers Worte nach: Denn wäre der Tempel entleert, und wären die Fantasien, die den Tempel besetzt halten draußen, so könntest du ein Gotteshaus werden.
Manche kriegen ein schlechtes Gewissen, wenn sie in der aktuellen Zeit für sich etwas Gutes tun, z. B. einen Urlaub an einem schönen Ort machen oder sich ein Wellnesswochenende gönnen. Wenn Du helfen kannst, dann tue es. So auch jetzt wo Krieg herrscht, kannst Du spenden, Menschen, die auf der Flucht sind beherbergen oder Dich politisch engagieren. Vergiss dabei bitte eine Person nicht. Nämlich Dich selbst. Denn nur wenn es auch Dir gut geht, kannst Du für andere gut da sein. Wenn Du mal geflogen bist, kennst sicherlich die Anweisungen des Flugbegleiters. Der Hinweis ist, dass man bei Gefahr zuerst sich und dann dem anderen die Sauerstoffmaske anbringen soll. Das ist nicht egoistisch, sondern klug und hilfreich. Mitleid hilft keinem. Durch Mitleid lasse mich in die Gefühle des anderen hineinziehen und leide nur mit. In diesem Zustand fehlt mir die gesunde Distanz, um klar zu sehen und um effektiv zu handeln. Mitgefühl ist förderlicher. Es beinhaltet ein offenes Herz und eine weise Absicht, um gut mit anderen und mit sich selbst zu sein.
Manche haben in ihrem Leben einen Problemmuskel antrainiert. Also das Gegenteil von einem, wie ich es oft in meinen Kursen sage, „Achtsamkeitsmuskel“.
Der Achtsamkeitsmuskel ist derjenige Teil in mir, der mir hilft bewusster und etwas weiser zu sein. Das ist der innere Anker, der mir in stürmischen Zeiten einen Halt gibt und mich immer wieder zentriert, wenn’s wacklig wird.
Der Problemmuskel, ist das Talent, die negativen Dinge zu sehen. Hier meine ich nicht, die zum Teil begründeten Sorgen, die mich vielleicht in eine förderliche Handlung bringen, sondern die unnötigen und energieraubenden Gedanken, die sich hundertfach wiederholen und sich wie Vögel in unseren Köpfen die Nester bauen. So wie es mal Martin Luther sagte: „Dass die Vögel der Sorge und des Kummers über deinem Haupt fliegen, kannst du nicht ändern. Aber dass sie Nester in deinem Haar bauen, das kannst du verhindern.„
Indem wir Achtsamkeit üben und unsere Stressreaktionen beobachten (Innehalten, Spüren, den Atem beobachten, Gefühle und mentale Konzepte wahrnehmen), schaffen wir nach und nach eine Unterscheidung zwischen Auslöser und Reaktion. Je bewusster uns der Unterschied wird und je mehr Raum zwischen beidem entsteht, umso eher haben wir eine Wahlmöglichkeit, mit dem Stressor umzugehen.
Wenn Achtsamkeit kontinuierlich geübt wird, entstehen Inseln der Achtsamkeit im Verlauf einer Stressreaktion, wir wissen mehr und mehr, was in uns abläuft auf körperlicher, emotionaler und mentaler Ebene und können so unser Verhalten ändern.
Also, versuche immer wieder im Alltag kurz innezuhalten und stelle Dir dabei die Frage:
- Was ist gerade jetzt (der Augenblick)?
- Was nehme ich wahr (Aufmerksamkeit)?
- Was denke ich (Verstand)?
- Was fühle ich (Gefühle)?
- Was spüre ich (Körper)?
- Was wäre in diesem Moment freundlich, vor allem mir gegenüber (Selbstmitgefühl)?
Bitte lese die Fragen nicht nur, denn sonst bleiben sie nur nette Geschichten, die keinem richtig nutzen. Wende sie jeden Tag an, um aus alten Mustern auszubrechen und um Neues zu gewinnen.
… so könntest du ein Gotteshaus werden,
und nicht eher, was du auch tust.
Und so hättest du den Frieden deines Herzens und Freude,
und dich störte nichts mehr von dem,
was dich jetzt ständig stört,
dich bedrückt und dich leiden lässt.